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Alexander-Spermann RGB

Dr. Alexander Spermann

23. Januar 2018

Wie wir Vollbeschäftigung erreichen können

Ein gemeinsamer Nenner der Jamaika-Koalition dürfte es sein, dass bis zum Jahr 2025 Vollbeschäftigung in Deutschland herrschen soll. Aber ist Vollbeschäftigung ein realistisches Ziel, das in den nächsten Jahren erreicht werden kann? Es gehen uns doch täglich Jobs verloren – dank Robotern und Algorithmen. Auch die Produktivität und Innovationsfreude einer immer älter werdenden Bevölkerung lässt zu wünschen übrig – ein zweites SAP ist trotz aller Bemühungen um mehr Existenzgründungen nicht in Sicht.

 

Was heißt überhaupt Vollbeschäftigung? Eine Arbeitslosenquote von zwei bis drei Prozent bei geringer Langzeitarbeitslosigkeit gilt als Vollbeschäftigung. Auch bekommen die meisten der Erwerbsfähigen bei Vollbeschäftigung einen Job – auch viele Ältere und Frauen. Gemeint ist jedoch nicht, dass jeder Erwerbsfähige zu jedem Zeitpunkt einen Job hat. Arbeitslose, die nach dem für sie besten Job suchen, und Arbeitgeber, die nach dem geeignetsten Kandidaten suchen, gibt es auch bei Vollbeschäftigung. So soll es in knapp zehn Jahren in der gesamten Republik sein. Was ist dafür zu tun?

 

Mehrausgaben für die marode Infrastruktur und für Bildung würden das Wachstum stärken – keine Frage. Langwierige Planungs-und Genehmigungsverfahren stehen dem im Wege. Da muss die Politik entschlossen ran.

 

Auch beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit muss geklotzt werden – es braucht höhere Investitionen, damit mehr und besser qualifizierte Fallmanager in den etwa 400 Jobcentern der Republik sich um die Langzeitarbeitslosen kümmern können. Es ist aus vielen Modellversuchen bekannt, dass ein guter Betreuungsschlüssel der Kern der Lösung ist. Viele Langzeitarbeitslose sind gering qualifiziert, über 55 Jahre alt, haben schwierige familiäre Verhältnisse oder sogar Sucht-, Schulden- und psychosoziale Probleme. In den nächsten Jahren könnten vermehrt Flüchtlinge hinzukommen, wenn die Arbeitsmarktintegration nicht gleich gelingt. Nur bei intensiver Betreuung haben sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

 

Einige zusätzliche Instrumente wären jedoch für die Jobcenter-Mitarbeiter ebenfalls hilfreich. So haben sich zeitlich befristete Einkommenszuschüsse für Langzeitarbeitslose in Großbritannien bewährt. Davon kann Deutschland lernen. Wenig Spielraum gibt es bei der zeitlich unbefristeten Anrechnung von eigenen Einkommen auf die Grundsicherung: Wäre man hier großzügig, so dass Langzeitarbeitslose viel vom eigenen Verdienst behalten dürften, dann würde die Zahl der Hartz IV-Aufstocker drastisch steigen. Das wird zu teuer. Es macht jedoch Sinn, dass die Politik sich die negativen Arbeitsanreize beim Zusammenspiel von Arbeitslosengeld II, Kinderzuschlag und Wohngeld noch einmal genau ansieht – das Münchener ifo-Institut hat dazu einen überlegenswerten Lösungsvorschlag vorgelegt, der im Kern eine integrierte Leistung vorsieht, bei der die Arbeitsaufnahme immer lohnt.

 

Erst wenn alle Register gezogen wurden und es dennoch dauerhafte Verlierer des beschleunigten Strukturwandels durch Digitalisierung gibt, dann braucht es einen sozialen Arbeitsmarkt. Dabei wären sie bei privaten Unternehmen oder arbeitsmarktnahen Beschäftigungsinitiativen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – mit hundertprozentigen Lohnkostenzuschüssen für die Arbeitgeber. Wenige hunderttausend Langzeitleistungsempfänger würden damit nicht mehr mit Hartz IV alimentiert. Das wäre verantwortungsvoller als ein bedingungsloses Grundeinkommen, das durch die Abschaffung des Sozialstaates finanziert würde.

Am besten wäre es jedoch, wenn die Arbeitsmarktpolitik noch präventiver wirken würden. Da ist noch viel Luft nach oben. Das Zauberwort heißt lebensbegleitende Weiterbildung nach einer soliden Schul- und Berufsausbildung. Dafür sind die derzeitigen Institutionen noch zu wenig aufgestellt. Im Weiterbildungsdschungel gehen selbst Bildungswillige verloren. Deshalb muss eine Lotsenfunktion der Bundesagentur für Arbeit mit ihren über 150 regionalen Arbeitsagenturen vorangetrieben werden. Speziell geschulte Agenturmitarbeiter könnten den Weg durch den Dschungel weisen. Das Weiterbilden übernehmen dann die Profis aus der Wirtschaft.

Dazu fehlen aber auch geeignete Instrumente. Deshalb sollte das im Rahmen der Hartz-Reformen abgeschaffte Unterhaltsgeld nach einem Facelift wiedereingeführt werden. Damit konnten sich Menschen in Weiterbildung finanziell besserstellen als Menschen, die sich nicht weiterbilden. Was das Kurzarbeitergeld für die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise war, könnte das Unterhaltsgeld für die Vermeidung von Arbeitslosigkeit durch Kompetenzerwerb werden. Auch sollten Erwerbstätige, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, mehr Leistungspakete wählen können. Wer freiwillig höhere Beiträge bezahlt, der bekommt mehr oder länger Arbeitslosengeld von der Arbeitsagentur.

Vollbeschäftigung heißt aber auch, dass möglichst alle Erwerbstätige, die arbeiten können und wollen, auch entsprechend viele Stunden arbeiten können. Dann könnten die Rekordbeschäftigung von derzeit 44 Millionen Beschäftigten und das Arbeitsvolumen von aktuell 59 Milliarden Stunden weiter steigen. Dazu muss an drei Stellschrauben gedreht werden: Erstens braucht es mehr Anreize für Ältere länger erwerbstätig zu bleiben – die abschlagsfreie Rente ab 63 ging in die völlig falsche Richtung, weil Hunderttausende von Fachkräfte vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt ausschieden. Auch sind zusätzliche Anreize nötig, um über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten – eine Flexi-Rente II gehört auf die Agenda der nächsten Bundesregierung.

Zweitens sollten die Rahmenbedingungen für Frauen wesentlich verbessert werden, damit Vollzeitbeschäftigung für sie möglich und lohnend ist. Hochwertige und bezahlbare Kinderbetreuung ist weiterhin Mangelware – frühkindliche aber auch kindliche Bildungsinvestitionen sind dringend erforderlich. Überfällig ist auch die Reform des Ehegattensplittings, damit Zweitverdiener nicht weiterhin übermäßig besteuert werden.

Drittens sollten qualifizierte Flüchtlinge dauerhaft am deutschen Arbeitsmarkt tätig sein dürfen, weil Fachkräfte gebraucht werden. Notwendig ist auch ein Zuwanderungsgesetz, das klare Regeln setzt, wer und wieviel Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern zu uns kommen dürfen und sollen.

 

Wenn alle vorgeschlagenen Maßnahmen flächendeckend umgesetzt werden, dann ist eine Arbeitslosenquote von zwei bis drei Prozent, geringe Langzeitarbeitslosigkeit mit einem kleinen sozialen Arbeitsmarkt und ein hoher Beschäftigungsstand bei Älteren, Frauen und Migranten möglich. Dann hätten wir im Jahr 2025 tatsächlich Vollbeschäftigung erreicht.

Dr. Alexander Spermann ist habilitierter Arbeitsmarktexperte. Er lehrt an der Universität Freiburg.

Dr. Alexander Spermann

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