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16. November 2018

Content-Infarkt führt zum Wahrnehmungstod

Ein Plädoyer gegen das Mehr-ist-mehr-ist-mehr-ist-mehr in der Marketing-Kommunikation.

Wenn man sich die Zeit nimmt und ganz vorsichtig lauscht, dann hört man das leise Wimmern der Marketingexperten. Traurig zusammengekauert sitzen sie in ihren Besprechungsräumen und
fabulieren über die Frage, wie Inhalte und Werbebotschaften denn nun beschaffen sein müssen, damit man wieder ankommt beim Kunden. Damit der Konsument hinsieht, hinhört, hinfühlt. Damit er sich wieder mit unserer Marke beschäftigt. Damit er wieder auf Veranstaltungen kommt, Blogs liest, Postings teilt und überhaupt: Wie er wieder zugänglich wird für absatzerzeugende Kommunikation.

Der Mensch ist eben ein schwer verständliches Wesen. Wenn man fragt, ob er Werbung möchte, dann zimmert er einem quasi das „Werbung verboten“-Aufkleberchen direkt ins Gesicht. Er installiert Adblocker, duckt sich in der Fußgängerzone vor dem Prospektverteiler weg und schaut genervt, wenn er die Frage hört: „Haben Sie eine Bonuskarte?“ Nie war mehr Botschaft als heute – und nie war sie wertloser. So schrieb der Media-Profi Thomas Koch vor einigen Wochen in der Wirtschaftswoche. Von einigen hundert bis wenigen tausend Werbebotschaften war schon vor 20 oder 30 Jahren die Rede. Von 5000 oder mehr Werbebotschaften pro Tag spricht man heute. Dabei ist es egal, wie groß die Zahl der Botschaften genau ist, die tagtäglich auf uns einprasselt. Interessanter ist die Frage: Wie soll das weitergehen?

Es geht um die Zeit der Menschen

Fakt: Jeder Mensch hat 24 Stunden Zeit pro Tag. Um diese 86.400 Sekunden – abzüglich lebensnotwendiger und lebenserhaltender Tätigkeiten – bewerben sich Marken, Produkte und Firmen.  Sie wollen unsere Zeit, um Geld zu verdienen. Soweit nichts Neues. Und der Mensch  duckt sich bewusst und unbewusst immer mehr weg, flüchtet, versteckt sich, nur um seine mentale Ruhe zu haben. Die Werbebranche reagiert ritualisiert mit einer sehr ausgeprägten „Mehr-ist-Mehr-Mentalität“. Mehr Werbedruck, mehr Reichweite, mehr Pageviews, mehr Traffic, mehr
Conversion, mehr Funnel, mehr Customer Experience, mehr irgendwas. Dieses Mehr wird dann weiter mit zuckersüßer Relevanzsahne veredelt.

Die Relevanz-Lüge

Marketingexperten erheben reflexartig die Hand und predigen wieder und wieder die alte Leier vom „Relevanten Content“. Die Relevanzfrage ist aber weder neu noch innovativ. Es ist sogar absurd, denn nie hat irgendjemand „weniger oder mittelviel Relevanz“ gefordert. Die Art, wie darüber gesprochen wird, suggeriert, dass man „Relevanten Content“ im zentnerweise in Säcken  kaufen kann. Werbliche Kommunikation musste schon immer relevant sein, um effektiv UND effizient zu sein. Ende der Ansage. Und auf diese haben viele Marketer, eben einfach keine andere
Antwort als „Mehr“. Dabei ist die Sachlage einfach: Kommunikation ist dann relevant, wenn sie im richtigen Moment mit der richtigen Botschaft auf die richtige Person trifft. Die Suche nach der Weltformel der Kommunikation ist dabei wahrscheinlich nie abgeschlossen, da die Instrumente und die Menschen sich im Laufe der Zeit beständig wandeln.

Auf dem Weg zum Kommunikations-Burnout

Was sich also abzeichnet ist: Kommunikation wird immer mehr, aber immer weniger besser. Wir werden bis zum mentalen Bersten und Kommunikations-Burnout programmatisch mit Information zugeballert. Ein Ende ist nicht in Sicht. Hier noch ein Funnel, da noch ein Whitepaper. Auch am heutigen Tag arbeiten wieder viele Startups daran, noch weiter in unsere Gehirnzellen vorzudringen. Der kometenhafte Aufstieg von Google, Facebook und Amazon als Werbeträger beweist, wie sehr Markenanbieter auf der Suche nach einem wirksamen und messbaren Zugang zum Kunden sind. Er beweist, dass wir selbstverständlich den personalisierten und gezielten Zugang zur Wunschkundengruppe suchen. Natürlich wollen wir nicht mit der Schrotflinte in den Wald ballern. Wir wollen es nicht, aber wir tun es trotzdem immer wieder. Zwischen den Eigenwerbeversprechen der Big Five, Heerscharen von Marketingexperten und der Realität besteht also doch immer noch eine große Lücke.

Wann kommt der Content-Infarkt?

Wir sind also nicht weit entfernt vom totalen Content-Infarkt. Der Dauerbeschuss der werbenden Industrie nötigt uns, dass wir immer näher an den Punkt der absoluten Ablehnung kommen. Ab wann werden wir pauschal weghören, wegsehen und weggehen? Einfach weil der beste Schutzmechanismus der ist, sich zu verschließen. Alles an sich abperlen zu lassen. Vor ein paar Jahren nannte man es niedlich „Banner Blindness“, jetzt sind wir bei totaler, bewusster Verweigerung. Wir beginnen Marken zu hassen. Es ist davon auszugehen, dass die Werbebranche auch darauf
wieder mit „Mehr“ reagieren wird. Natürlich wird auf Konferenzen diskutiert, wie man eben jene vielbeschworene Relevanz herstellt. Die Bemühungen der Industrie und der Agenturen scheinen aber nicht zu fruchten. Daten können dieses „Mehr“ gut, aber eben nicht zwingend „Clever“. Die Antwort liegt im „Content Marketing“ sagt man. Hier werden gleich zwei Säue durchs Dorf gejagt: Der tapfere „Storytelling“ und der nette „Nutzwert“. Eine packende Geschichte, erzählt an die richtige Person, war schon immer ein wichtiges Stilmittel gelungener Kommunikation, nicht nur in der Werbung. Und wenn’s was hilft – super! Das Problem wird dabei aber noch befeuert. Denn Geschichten brauchen weitere Zuhör-, Hinseh- und Konzentrationszeit, damit sie ihre Dramaturgie entfalten können. Und ob mir das x-te Whitepaper mit zehn abgeschriebenen Tipps die Abgabe meiner Daten wert sind – gute Frage. Ein wahrer Teufelskreis. Die relevanteste und schönste inhaltsbasierte Werbung ist eben schon dem Grunde nach zum Scheitern verurteilt, wenn sie im allgemeinen Zuviel untergeht.

Es braucht eine Totalreform der kommerziellen Kommunikation

Es ist schwierig einen klugen Ratschlag zu geben, wie man dem totalen Content-Infarkt denn nun vorbeugen kann. Mit erhobenem Zeigefinger müsste man der gesamten Wirtschaftswelt empfehlen, gesammelt einen Gang runter zu schalten. Man müsste den Marketern und der Agenturszene eine Zwangspause verordnen, um zu beobachten, ob das beim Konsumenten irgendetwas auslöst. In dieser Zeit könnten wir in Ruhe an der Frage arbeiten, mit welcher relevanten Substanz wir in Zukunft kochen. Das Problem bleibt aber gleich: Wenn alle relevant sein wollen, ist plötzlich niemand mehr relevant. Auch die Riege der

Marketingberater müsste einsehen, dass sie aktuell keine guten Rezepte zur Überwindung dieses Zustands hat. Denn wie entrinnt man dem Teufelskreis des kommunikativen Wettrüstens? Eine
„Aufmerksamkeitssteuer“ für Gratis-Bezahlinhalte brachte neulich jemand ins Spiel. Großartige Idee. Da sollte man drüber reden.

Guter Rat ist leise

Ich habe tatsächlich – Experten-untypisch – keine kluge Empfehlung für Sie. Man könnte jedoch in einem Gedankenspiel darüber nachdenken, ob schon das konsequente Ablehnen von Schnellschüssen ein Weg sein könnte. Wie wäre es, wenn wir einfach keine Kommunikation mehr machen, die nicht eine gewisse Zeit lang durchdacht wurde? Wie wäre es, wenn man sich wieder mehr Zeit für Ideenfindung und Kreation nähme? Wenn man Relevanz auch darüber herstellen würde, indem man besser, länger und mehr nachdenkt, bevor man handelt? Es würde uns hier und da die Augen öffnen. Es würde den Blick darauf lenken, dass wir zu häufig zu forsch und zu schnell agieren. Das widerspricht natürlich den Predigten der großen Motivationstrainer, die ihr Geld damit verdienen, Menschen einzureden, sie müssten ins Handeln kommen. Dabei ist denken ja auch schon Handeln. Nur eben ohne Menschen dabei kommunikativ zu belästigen.

Lautstärke runter!

Wenn wir also alle die Lautstärke und Frequenz unserer kommerziellen Kommunikation herunterdrehen würden, dann würden wir auch das Wimmern der Marketingexperten wieder hören. Und dann könnten wir gemeinsam mit ihnen dazu übergehen, endlich wieder Marketing- Kommunikation mit Substanz zu machen. Substanzielles Marketing und substanzielle Kommunikation, die tiefgründig hinterfragt, wo wir stehen, was wir wollen, für wen wir das wollen und wie wir das im richtigen Moment, mit dem richtigen Inhalt an die richtige Zielgruppe kommunizieren. Wir müssten wieder mehr daran arbeiten, wie man Marken begehrlich macht. Die dahinter stehende Kunst scheint nämlich durch digitale Tools von Facebook und Google langsam verloren zu gehen. Dafür braucht es aber Leute die das a) wollen und wichtig finden, die b) eine Ahnung davon haben und die c) bereit sind den anstrengenden Weg jenseits einfacher Heilslehren zu gehen. Wir müssen damit leben, dass es Menschen gibt, die Markenpflänzchen mit Holzhammer und Schrotflinte großreißen wollen. Wenn wir dem Wimmern der Marketingberater lauschen, könnten wir mit ihnen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir mit weniger Kommunikation mehr erreichen. Es wäre eben einfach schön darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn wieder mehr Substanz wäre.

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